Von Ben Gurion zu Ben-Gvir: Andauernde Nakba, andauernder Widerstand

14.05.2023

Categories: Apartheid und Siedlungskolonialismus, Internationales Recht, Palästinensische Flüchtlinge

Auf dieser Erde gibt es das, wofür es sich zu leben lohnt:  Das Zögerlichkeit des Aprils, der Duft des Brotes, ... der Beginn der Liebe, das Gras auf einem Stein, ... und die Angst der Eroberer vor den Erinnerungen. - Mahmoud Darwish

Auch 75 Jahre nach der Zerstörung der palästinensischen Heimat und der ethnischen Säuberung des größten Teils der einheimischen Bevölkerung Palästinas durch zionistische Milizen und später durch das israelische Militär und trotz der andauernden Nakba, insbesondere der andauernden Massaker in Gaza, gibt es auf dieser Erde vieles, "wofür sich zu leben lohnt". Das Versprechen auf Freiheit, auf Gerechtigkeit, auf die Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Land, auf Selbstbestimmung, auf die Wiedervereinigung unseres Volkes und auf den Geruch von frischem Fladenbrot am schönen palästinensischen Morgen, der nicht durch das Elend der unablässigen Trauer um unsere Märtyrer und das geraubte Land getrübt wird - all das ist es wert, dafür zu leben. 

Viele Menschen auf der ganzen Welt sind Zeugen des Abschlachtens ganzer Familien im besetzten und belagerten Gazastreifen, einschließlich der vorsätzlichen Ermordung unserer Kinder im Schlaf, wieder einmal. Vor Wochen wurden sie Zeug*innen des jüngsten israelischen Pogroms durch faschistische jüdisch-israelische Milizen gegen Palästinenser *innen in Huwara bei Nablus in den besetzten palästinensischen Gebieten. Viele haben miterlebt, wie der ranghohe israelische Regierungsminister Bezalel Smotrich, ein selbst erklärter "Faschist", zum Staatsterrorismus aufrief, indem er sagte: "Ich denke, Huwara muss ausgelöscht werden. Der Staat sollte das tun". Viele haben vielleicht die grausame Gewalt gesehen, die wiederholt von israelischen Streitkräften und faschistischen, fundamentalistischen Siedlern gegen muslimische und christliche palästinensische Gläubige und heilige Stätten ausgeübt wurde. Aber viele mögen vergessen, dass Akte des "schrittweisen Völkermords" an Palästinenser*innen, einschließlich Pogromen, Massakern, Belagerungen und anderen Formen extremer kolonialer Gewalt, so israelisch sind wie die Flagge.

Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Matan Vilnai, drohte 2008 den Palästinensern mit einem "größeren Holocaust", falls die Widerstandsgruppen ihre bewaffneten Vergeltungsmaßnahmen gegen Israels verbrecherische Belagerung und gewaltsame Angriffe auf den Gazastreifen nicht einstellen würden. Vor kurzem wurden durch einen Fehler der israelischen Zensoren versehentlich geheime Dokumente enthüllt, in denen Israels erster Premierminister David Ben-Gurion für die "Auslöschung" palästinensischer Dörfer während der Nakba 1948 eintrat und ein Minister seiner ersten Regierung zugab: "Nehmen wir an, dass es in [der ethnisch gesäuberten palästinensischen Stadt] Ramle zu Fällen von Vergewaltigungen kam. Vergewaltigungen kann ich verzeihen, aber andere Taten werde ich nicht verzeihen", wie z. B. das gewaltsame Entfernen von "Schmuck von Frauen". Ben-Gurion, dessen Leitprinzip ein Maximum an Land mit einem Minimum an palästinensischen Arabern war, hat die geplante Kampagne der ethnischen Säuberung eines Großteils der einheimischen Palästinenser*innen angeführt, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von dem der derzeitige rechtsextreme israelische Minister für "nationale Sicherheit", Itamar Ben-Gvir, der wegen Unterstützung des Terrorismus verurteilt wurde, nur träumen könnte, dieses auszuführen. Von Ben-Gurion bis Ben-Gvir - die Nakba geht weiter.

Dennoch ist Israels neue rechtsextreme Regierung die rassistischste, fundamentalistischste, korrupteste, autoritärste, sexistischste und am meisten homophobe, die es je gab -  ohne  jegliche Maskerade. Sie stellt eine Eskalation in Israels andauerndem Regime der kolonialen Unterdrückung der einheimischen Palästinenser *innen dar, das seit der Gründung Israels als Siedlerkolonie in Palästina besteht. Gleichzeitig stellt sie mit ihren weitreichenden Plänen für rechtliche, soziale und kulturelle "Reformen", die die jüdische israelische Gesellschaft betreffen, einen potenziell unumkehrbaren Bruch mit dem Status quo dar. Die Ratingagentur Moody's hat bereits die Kreditwürdigkeit Israels herabgestuft, infolge monatelanger wirtschaftlicher Instabilität, beispielloser Umwälzungen im gepriesenen  High-Tech-Sektor und  zunehmender Kapitalflucht. Dies bedeutet für die Verfechter der palästinensischen Rechte weltweit, insbesonders in der BDS-Bewegung, eine noch dringendere Verantwortung und eine Gelegenheit, die es seit 75 Jahren nicht mehr gegeben hat.

-dennoch, Chancen allein führen  nicht zu einem Wandel; sie schaffen lediglich den Nährboden dafür. Die antirassistische BDS-Bewegung, die von der größten palästinensischen Koalition aller Zeiten angeführt wird, ist die effektivste Form der Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf. Nach 75 Jahren Siedlerkolonialismus und Apartheid und gegenüber einer israelischen Regierung, die alle Masken fallen gelassen hat, fordern wir die internationale Anerkennung der Tatsache, dass das israelische Unterdrückungsregime eine Apartheid darstellt, sowie die Beendigung der staatlichen, unternehmerischen und institutionellen Komplizenschaft dabei als Erfüllung der gesetzlichen Pflichten und der moralischen Verpflichtung, keinen Schaden anzurichten. Dies ist eine Voraussetzung für Solidarität, nicht für Wohltätigkeit.

Wir rufen unsere Partner weltweit auf, diese beispiellose Gelegenheit zu nutzen, um die Macht der Menschen zu stärken. Dies erfordert zwei parallele Wege:

1) Erweiterung unserer grundsatzorientierten, intersektionellen Koalitionen, um unsere kulturellen, akademischen, sportlichen und wirtschaftlichen Boykott- und Divestment-Kampagnen auszubauen und in der breiten Öffentlichkeit, einschließlich der UNO, die Verpflichtung durchzusetzen, gezielte, rechtmäßige Sanktionen zu verhängen, um die israelische Apartheid abzuschaffen, so wie die südafrikanische Apartheid abgeschafft wurde; und

 2) Bildung neuer taktischer Allianzen mit den vielen neuen Kritiker*innen des rechtsextremen israelischen Regimes, mit denen wir vielleicht in vielen Dingen nicht übereinstimmen, außer in der Notwendigkeit eines bedeutsamen Drucks auf die israelische Regierung. Dazu gehört zumindest die Beschneidung des Handels mit militärischer Sicherheit und der Finanzierung des Militärs, das Verbot von Siedlungsgütern und die Desinvestition von Israel Bonds und von Unternehmen und Banken, die dieses Regime finanzieren.

Wie der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish sagt, ist die Angst der kolonisierenden Eroberer vor den Erinnerungen, den Erinnerungen der enteigneten, vertriebenen und kolonisierten indigenen Völker, auch eine Quelle der Hoffnung. Es erinnert uns in der dunkelsten Stunde ihrer Unterdrückung daran, dass wir trotz ihrer Macht siegen können und werden. Sie sind nicht nur moralisch bankrott; sie fürchten unsere Widerstandsfähigkeit, unseren Widerstand, unsere sumud [Standhaftigkeit] und unsere fruchtbaren Erinnerungen an ihre siedler-koloniale Eroberung und ihr Apartheidregime sowie an die Schönheit, Würde und Liebe, die ihnen vorausgehen und die wird zweifellos nach dessen Abschaffung kommen werden.

Quelle: Palestinian BDS National Committee (BNC)

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